Über eine Million Filipinos verlassen jährlich ihr Land, um zu arbeiten. Die hohen Auswanderungszahlen beschäftigen nicht nur den philippinischen Staat, sondern auch den Ökonomen Andreas Steinmayr. Im vergangenen Juli konnte er eine langjährige Kooperation mit der philippinischen Auswanderungsbehörde wieder aufnehmen, die der Wissenschaft tiefe Einblicke in Migrationsprozesse eröffnet.
Migration ist nicht nur in den Zielländern von Migrant:innen ein wirtschafts- und gesellschaftspolitisches Thema, sondern auch in ihren Ausgangsländer. Ein Staat, in dem Auswanderung seit Jahrzehnten eine besonders große Rolle spielt, sind die Philippinen - geschätzt 10 Millionen Filipinos leben im Ausland, viele emigrieren für immer, andere auf Zeit, um Geld zu verdienen. Der Inselstaat hat bereits seit 1980 mehrere Regierungsbehörden, die sich um die Anliegen von Filipinos im Ausland kümmern, ihre Beziehung zur Heimat stärken, verpflichtende Trainingsprogramme für Auswandernde durchführen sowie umfassende Registerdaten zu Emigrant:innen führen. Eine langjährige Forschungskooperation mit der Commission on Filipinos Overseas (CFO), die Behörde, die für permanente Auswander:innen zuständig ist, gibt Univ.-Prof. Andreas Steinmayr vom Institut für Finanzwissenschaft und seinen Kolleg:innen die Möglichkeit, Migration aus einer einzigartigen Perspektive und fundiert zu betrachten. „Begonnen hat die Zusammenarbeit bereits 2013, nach einer Unterbrechung konnte sie 2024 wieder aufgenommen werden: Wir waren im Juli in Manila, und haben neue Kooperationsabkommen unterzeichnet", freut sich Andreas Steinmayr, der in den letzten Monaten gemeinsam mit Fachkolleg:innen aus den Philippinen und den USA mehrere Beiträge in wissenschaftlichen Journalen veröffentlichen konnte, die aus dieser Kooperation hervorgehen.
Information nicht unbedingt von Vorteil
Eine im September im Journal of Development Economics veröffentlichte Feldstudie erforscht beispielsweise, welche Auswirkungen die von der CFO entwickelten Vorbereitungsprogramme zur Niederlassung in den USA auf die Job- und Wohnsituation sowie das Wohlbefinden der Migrant:innen haben. Die Programme bestehen aus einem zweieinhalb-stündigen Training vor der Abreise sowie einem umfassenden Handbuch. Beides soll Wissenslücken in Bezug auf verschiedene Aspekte des Ziellandes bereits vor der Abreise schließen. Dies - so der Gedanke - trägt dazu bei, die sozioökonomische Situation der Migrant:innen zu verbessern. „Dazu muss man sagen, dass viel Geld wieder zurückfließt und viele Ausgewanderte Projekte in ihrer Heimat auf den Philippinen unterstützen", erklärt Steinmayr. Seine jüngste Untersuchung mit rund 1.300 Personen nimmt die Effekte der Trainingsprogramme genau unter die Lupe und liefert solide Daten dazu.
Die Interventionen wurden zufällig zugewiesen und die Teilnehmer:innen einmal vor und mehrmals nach ihrer Abreise befragt. „Wir haben herausgefunden, dass das Absolvieren des Vorbereitungsprogramms keinen signifikanten Unterschied in Hinblick auf Beschäftigung, Niederlassung und subjektives Wohlbefinden hat, jedoch dazu führt, dass die Einwanderer weniger soziale Netzwerkverbindungen aufbauen", fasst Steinmayr das Ergebnis zusammen. Die Wissenschaftler:innen erklären das Ergebnis mit einem einfachen Modell, das zeigt, dass Informationen und soziale Netzwerkverbindungen unter vernünftigen Annahmen Ersatzgüter sind. „Jene die, die Programme absolviert haben, sind bereits gut informiert, und haben eine geringe Notwendigkeit bei US-Amerikanern und auch mit ausgewanderten Filipinos nachzufragen. Dadurch bilden sie weniger neue Kontakte.", betont er ein zentrales Ergebnis.
Arbeitsmarkt im Umbruch
Aus der Zusammenarbeit mit der CFO ergaben und ergeben sich aber noch zahlreiche weitere Forschungsfragen, die mit methodisch sehr unterschiedlichen Zugangsweisen untersucht werden. „Wir arbeiten auch mit den weitzurückreichenden Registerdaten", berichtet Andreas Steinmayr, der als Migrationsforscher seinen Blick seit Jahren nicht nur auf die Ziel- sondern auch auf die Ausgangsländer richtet. „Gerade jetzt, wo der globale Arbeitsmarkt im Umbruch ist, und wir in Industrieländern in vielen Bereichen einen Arbeitskräftemangel haben, ist der Blick in Richtung Herkunftsland noch wichtiger geworden. Die Marktmacht zwischen Ausgangs- und Zielländern können sich in Zukunft verschieben", sagt der Migrationsexperte, der auch immer wieder im Austausch österreichischen Vertreter:innen aus Wirtschaft und Politik steht. Das konnte er auch bei seinem Besuch in Manila beobachten: „Dort fand gerade ein regelrechter Wettbewerb potentieller Zielländer statt, die mit den Philippinen Migrationsabkommen schließen wollen, um Arbeitskräfte anzulocken."
Publikation:
Toman Barsbai, Victoria Licuanan, Andreas Steinmayr, Erwin Tiongson, Dean Yang: Information and immigrant settlement. In: Journal of Development Economics (September 2024) https://doi.org/10.1016/j.jdeveco.2024.103305